Vielleicht kennen Sie solch eine Situation auch: Sie lernen in der Kirchengemeinde eine neue Person kennen und diese erzählt davon, dass er, sie oder dey lesbisch, schwul, bisexuell, trans* oder intergeschlechtlich ist. Was für ein Vertrauen, das Ihnen entgegengebracht wird. Und vielleicht geht es Ihnen, wie es mir auch geht: Ich möchte die Person näher kennenlernen und habe Fragen zum Thema Identität. Und hier halte ich gern einen Moment inne und frage mich: Was sind die konkreten Fragen, die ich habe? Geht es bei den Fragen um das Kennenlernen der neuen Person oder um eigene Neugier? Und würde ich diese Frage selbst so kurz nach einem Kennenlernen gestellt bekommen und beantworten wollen? Habe ich vielleicht allgemeine Fragen, die ich auch gut in einem Buch oder im Internet nachlesen könnte? Ich weiß, das sind ganz schön viele Fragen und es kann ungewohnt sein, sich in einem Gespräch dafür Zeit zu nehmen. Queere Menschen, müssen sich im ersten Kennenlernen oft zu viel erklären, obwohl es eigentlich ums Kennenlernen gehen sollte. Dies fühlt sich für viele queere Menschen nicht gut oder sogar übergriffig an. Denn zu oft sind queere Menschen plötzlich in der Situation, Aufklärungsarbeit zu leisten, ohne dass sie es gerade wollen. Es macht einen großen Unterschied, ob Sie fragen, was allgemein trans*Menschen ausmachen oder was es für die konkrete Person bedeutet trans* zu sein. Sie würden in den seltensten Fällen fragen, was einen Mann oder eine Frau ausmacht, wenn Sie eine Person dieses Geschlechts kennenlernen, oder? Wenn Sie stattdessen fragen: “Was bedeutet es für dich, trans* zu sein und soll ich auf etwas, wie zum Beispiel Pronomen, achten?” Dadurch zeigen Sie, dass Sie Interesse an der individuellen Person haben und dass Sie wissen, dass es ein breites Spektrum von Bedürfnissen und Wünschen von Menschen gibt. Ich selbst werde sehr gerne nach meinen Pronomen gefragt, denn dann kann ich erklären: “Am liebsten ist es mir, wenn für mich dey/deren als Pronomen benutzt werden. Dey/ deren ist ein Neopronomen, da es keine Auswahl an geschlechtsneutralen Pronomen im Deutschen gibt. Deshalb haben queere Menschen angefangen, Pronomen zu schaffen, die ein bisschen geübt werden müssen, aber mich macht es so glücklich, wenn meine Pronomen benutzt werden. Das heißt konkret, Sie würden “dey hat gesagt” sagen statt “er hat gesagt”, wenn Sie über mich sprechen.

Immer wieder wird es vorkommen, dass wir (auch ich) mit einem falschen Pronomen über Personen sprechen. Wenn Ihnen das passiert, bleiben Sie ruhig und korrigieren Sie sich. Das ist absolut in Ordnung und es ist eine Übungssache. Problematisch wird es dann, wenn darüber hinaus Sätze fallen wie “Das ist aber auch kompliziert mit deinen Pronomen” oder “Ich gebe mir ja Mühe, aber das ist einfach zu schwer”. Sie dürfen den Lernprozess “Pronomen (um-) zulernen schwierig finden. Die aufgeführten Äußerungen suggerieren der queeren Person, dass sie zu anstrengend sei und sie irgendwie übertreiben würde. Da fängt Diskriminierung an. Fragen Sie lieber: “Kannst du mir Sätze sagen, die dein Pronomen in allen vier Fällen beinhaltet, damit ich es zuhause üben kann, deine Pronomen richtig zu benutzen?“
Häufig und unangebracht werden trans* Menschen gefragt: “Und was für Operationen strebst du an, vor allem so im Intimbereich?“ Vielen ist es schon klar, aber bitte stellen Sie so eine persönliche Frage nur, wenn Sie die Person wirklich gut kennen und wissen, dass die Person auch darüber reden möchte. Gleiches gilt auch für die Auslebung von Begehren und Sexualität.
Besonders Kinder und Jugendliche hören leider immer wieder “Du kannst noch gar nicht wissen, welches Geschlecht du bist oder wen du liebst”. Kinder und Jugendliche brauchen uns, um sich und ihre Identität ausdrücken können. Aussagen wie: “Es ist nur eine Phase“, nimmt die jungen Menschen nicht ernst und kann großes Leid erzeugen. Natürlich darf sich die sexuelle oder geschlechtliche Identität auch nochmal ändern. Als Christ*innen ist es unsere Aufgabe, sie in Veränderungsprozessen liebevoll und vorurteilsfrei zu begleiten.
Queere Menschen erleben es immer wieder, dass sie mit den eigenen Familienmodellen in Gottesdiensten, in den Gemeinden und dazugehörigen Kitas o.Ä. rausfallen oder die Vielfalt an Identitäten nur in ganz bestimmten Momenten thematisiert wird. Durch das öffentliche Reden oder Schweigen wird gelernt, dass queer sein etwas Besonderes sei, etwas das im Alltag nicht oder nur selten vorkommt. Wie schön wäre es, wenn wir mit den Bildern, die unsere Sprache schaffen, immer wieder davon erzählen, wie schön es ist, dass Gott uns alle so bunt geschaffen hat und wie sehr Gott uns liebt.
Lassen Sie mich Ihre Fragen und Gedanken wissen.
Liebe Gemeindemitglieder,
ich bin nun etwas mehr als sechs Monate in unserem Kirchenkreis als Queerreferent*in unterwegs, spreche mit vielen Menschen über die Bedürfnisse von queeren Menschen in der Kirche, gebe Workshops in Konfirmand*innenkursen, habe gepredigt und gebe Haupt- und Ehrenamtlichen Impulse mit, wie sie und ihre Gemeinden queersensibler unterwegs sein können. Dabei ist mir aufgefallen, dass der Wissensstand zu queeren Lebens- und Liebensweisen sehr unterschiedlich ist. Das ist gar nicht schlimm, sondern meine Stelle bietet die Möglichkeit, dass mir alle kleinen und großen Fragen gestellt werden können und ich sie so gut ich kann beantworte. Zögern Sie nicht, mich anzurufen oder mir eine E-Mail zu schreiben.
Béla Dörr
Mail: queer(alt)ekbso.de
Handy: 0155 / 60014564
Noch mehr Infos den Seiten unseres Kirchenkreise.
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